Die Energiewende tritt in ihre zweite Phase ein: Weniger politisch-regulatorisch, dafür stark geprägt von Märkten, Kundinnen, Kunden und Technologie. Digitalisierung und neue Vertriebsmodelle rücken in den Vordergrund. Neue Wettbewerber drängen in den Markt und setzen völlig neue Maßstäbe in Sachen Schnelligkeit, Innovation und Kundenorientierung. Die neuen Akteure steigern den Wettbewerbsdruck vor allem für regionale Energieversorger und Stadtwerke zusehends. Der digitale Wandel ist dabei Fluch und Segen zugleich.
Einerseits erleichtert die Ausweitung des Verkaufsraums ins Internet den Marktzugang, bzw. die überregionale Expansion. Dadurch steigt der Preisdruck – wobei Onlineportale zum Preisvergleich wie Verivox oder Check24 ihr übriges tun, um die Situation zu verschärfen. Andererseits bietet der virtuelle Raum enorme Chancen, attraktive Berührungspunkte zwischen Kundinnen, Kunden und Anbietenden zu schaffen. Vor allem Energieversorger mit Grundversorgerstatus sind gut beraten, diese Potenziale bestmöglich zu heben, um ihre Marktanteile im Netzgebiet zu verteidigen. Positive Kundenerlebnisse über alle Phasen der Customer Journey hinweg sind ein ganz wesentlicher Faktor. Konsequenterweise erkennen immer mehr Energieversorger, welche Bedeutung strategisches Customer Experience Management (CXM) für nachhaltigen Erfolg hat. Allerdings hat erst ein kleiner Teil davon diese Erkenntnis in fundierte Strategien umgesetzt.
Die Kundschaft in den Mittelpunkt stellen
Die zentrale Aufgabe erfolgreichen Customer Experience Managements lässt sich schnell auf den Punkt bringen: Kontaktpunkte zwischen Kundin, Kunden und Unternehmen sollen mit dem Ziel optimiert werden, ein positives Kundenerlebnis zu schaffen und Kundenzufriedenheit sowie Kundenbindung dadurch höchstmöglich zu steigern. Vor dem Hintergrund sinkender Loyalitätsraten und einer steigenden Wechselbereitschaft spielt letztere eine zunehmend zentrale Rolle, gerade wenn man bedenkt, dass es ist wesentlich günstiger ist, die Kundschaft zu halten, als einen neuen zu gewinnen.
Im Kern geht es also letztlich darum, die Kundinnen und Kunden in den Mittelpunkt zu stellen und dadurch nicht nur punktuell zufriedenzustellen, sondern durchgängig zu begeistern und so langfristig emotional an die eigene Marke zu binden. Doch was bedeutet das für Energieversorgende, deren Berührungspunkte traditionell eher begrenzt und meist nicht besonders attraktiv sind? Kundinnen und Kunden sind wenig begeistert vom bürokratisch anmutenden Prozess der Selbstablesung oder den vagen Terminfenstern bei der Sichtablesung. Jahresabrechnungen sind in der Regel umfangreich und schwer verständlich. Ablesekarten und Rechnungen rufen beim Blick in den Briefkasten nicht gerade Jubelstürme aus.
Kurzum, EVU müssen sich etwas einfallen lassen, wenn sie begeistern und Bestandskunden dadurch stärker an sich binden wollen. Daher sollten die wenigen Kontaktpunkt so kundenorientiert wie möglich ausfallen, denn 37 Prozent der Kundinnen und Kunden würden wegen schlechten Kundenerlebnissen sogar das anbietende Unternehmen wechseln. Das ergab eine Studie der Energieforen Leipzig. Die gute Nachricht: Stadtwerken und Co. bieten sich zahlreiche Möglichkeiten – von erweiterten Angebotsportfolios, über unterschiedliche Kommunikationskanäle und optimierte Dokumente, bis hin zu kundenindividueller Angebotspositionierung und Cross-Selling. Die räumliche Nähe zur Kundschaft ist dabei ein besonderes Ass im Ärmel von regionalen Energieversorgern.
Der richtige Kanal und individuelle Angebote machen den Unterschied
Ganz wesentlich für den Erfolg des CXM von Energieversorgern ist das passende Angebot an Kommunikationskanälen. Wahrscheinlich gibt es kaum eine Branche mit so heterogenen Zielgruppen. Beinahe alle Altersgruppen und quasi alle sozialen Schichten fallen darunter. Digitale Kontaktpunkte spielen vor allem für jüngere Kundengruppen eine zunehmend wichtige Rolle. Gleichzeitig dürfen EVU die Klassiker nicht außer acht lassen, um die Generation älterer Bestandskunden nicht zu verprellen. Kommunikation über Telefon, Brief und persönlichen Kontakt findet also weiterhin statt. Gleichzeit steigt Bedeutung von E‑Mail, Chat und Co. mit der heranwachsenden jüngeren Kundschaft. Darüber hinaus bewirkt die aktuelle Situation, dass auch ältere Zielgruppen sich zusehends an digitale Kanäle gewöhnen. Diese sind ganz wesentlich, um in Zeiten von #socialdistancing und #stayathome mit Familie und Freunden in Kontakt zu bleiben.
Ganz besonders bietet sich hier der Einsatz von Chatbots an. Zum einen steigern diese das Kundenerlebnis, denn ein Bot ist rund um die Uhr verfügbar und bearbeitet Kundenanliegen vollautomatisch, umgehend und umfassend – bei Bedarf auch mehrsprachig. Darüber hinaus entlastet er Servicemitarbeitenden, die sich nicht länger mit Zählerstandmeldungen oder Abschlagsanpassungen aufhalten müssen und können sich verstärkt um Kundinnen und Kunden kümmern können, deren Anliegen komplexer sind und mehr Empathie erfordern.
Chatbots, aber auch E‑Mail und Postversand bieten darüber hinaus die Möglichkeit, individualisierte Angebote gegenüber der Kundschaft zu positionieren und dadurch zu zeigen, dass er und seine individuellen Wünsche dem EVU am Herzen liegen. Beispielsweise könnten Eigenheimbesitzer mit Finanzierungsplänen für Solaranlagen versorgt oder E‑Autofahrer über die Standorte von Ladesäulen informiert werden. Dieses Potenzial wird jedoch bisher kaum genutzt. Die Leipziger Studie zeigt, dass sogar 78 Prozent der Befragten mit den Informationen zu Produktangeboten nicht zufrieden sind. In diesem Bereich gibt es also einiges zu tun.
Übersichtliches Dokumentendesign zeigt Wertschätzung und Verständnis
Ein weiterer Ansatzpunkt, um das Kundenerlebnis zu steigern, ist die Gestaltung der Dokumente, die eine Kundin, ein Kunde regelmäßig zu Gesicht bekommt. Ein wesentlicher Teil der kundenseitigen Kontaktpunkte beinhaltet Fragen zu Rechnungen und Preisanpassungen. Dies bedeutet einen hohen Aufwand auch für die Kundschaft und ist daher wenig attraktiv. Es ist also zu empfehlen, alle Dokumente möglichst übersichtlich und selbsterklärend zu gestalten. Alle wichtigen Informationen müssen vollständig enthalten und leicht auffindbar sein, damit im Idealfall keine Rückfragen entstehen. Natürlich müssen Rechnungen in der Energiewirtschaft gemäß §42 EnWG erstellt werden. Trotzdem gibt es ausreichend Spielraum, um kundenorientierte Dokumente zu erstellen. Das signalisiert Wertschätzung und Verständnis für die Kundenbedürfnisse. Eine erhöhte Abschlagszahlung wird vermutlich eher akzeptiert, wenn die Gründe verständlich dargestellt sind.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Ziel erfolgreichen Customer Experience Managements eben nicht ist, Kundinnen und Kunden gerade so zufriedenzustellen, dass sie nicht zu einem anderen Anbietenden wechseln. Vielmehr geht es darum, Kundinnen und Kunden stetig zu begeistern, um eine emotionale Bindung zu erzeugen. Bestenfalls entwickelt sich die Kundschaft sprichwörtlich zum Fan und empfiehlt die Leistungen seines Energieversorgers bei Gelegenheit weiter.